Der Bischof
PEDRO CASALDÁLIGA
Ein Dokument voller Schmerz
Sao Félix do Araguaia, 23. Oktober 1971. Es ist Abend. An den Ufern des Araguaia-Stromes.
Drei Bischöfe aus der Region weihen PEDRO CSALDALIGA zum neuen Bischof.
Diese Bischofsweihe wird nicht nur Richtung-gebend für die neu gegründete Prälatur. Man kann sagen, sie beeinflusst auch die ganze Kirche Brasiliens.
Die Feierlichkeiten sind ein einziges Fest des Glaubens, in aller nur denkbaren Einfachheit, mit dem Geruch des Volkes. Zeuge ist der Araguaia-Strom.
STROHHUTAls Zeichen des Sich-mit-dem-Volk-Identifizierens und der Selbstentäußerung, mit der diese Kirche sich kleiden wollte, verweigerte der Bischof alle Insignien oder äußere Zeichen, durch die er sich vom Volk, dem er ja dienen möchte, unterschieden hätte.
Statt Mitra nahm er den Strohhut des Volkes. Ein Ruder der Tapirapé-Indianer ersetzte den Hirtenstab. Durch den schwarzen Ring anderer Indianerstämme verbündete er sich mit diesen Menschen. Einen ihm von befreundeten Cursilhistas aus Madrid geschenkten Bischofsring schickte er seiner betagten Mutter nach Europa, als Erinnerungsstück und als Zeichen des Dankes und der Zuneigung. Er selbst kehrte nie wieder zurück in seine Heimat Spanien, getrieben auch aus der festen Glaubensüberzeugung, dadurch ein wenig zur Wiedergutmachung beitragen zu können für alles Übel, das die Europäer und Spanier 500 Jahre lang in den südamerikanischen Kontinent gebracht haben.
So schrieb PEDRO auf seinen Weihezettel, den er an alle Anwesenden verteilte:
Deine Mitra wird sein:ein Strohhut des Volkes,
die Sonne -der Mond,
der Regen und der Tau;
der Blick der Armen, mit denen du wanderst und
der glorreiche Blick Christi, deines Herrn.
Dein Hirtenstab soll sein:die Wahrheit des Evangeliums und
das Vertrauen deines Volkes, das dich trägt.
Dein Ring wird sein:die Treue zum Neuen Bund des befreienden Gottes und
die Treue zum Volk dieser Erde.
Kein anderes Wappen wirst du haben als die Macht der Hoffnung und
die Freiheit der Kinder Gottes.
Keine anderen Handschuhe wirst du anziehen als
den Liebesdienst.
Die Lesungen aus der Bibel, in die Sprache des Volkes übersetzt, sollten die Verpflichtungen betonen, die der Bischof in dieser feierlichen Stunde übernahm:„Ich bin der gute Kuhhirte. Der gute Kuhhirte riskiert sein Leben für seine Herde. Derjenige, der das nicht gut macht, dem an der Herde nicht viel gelegen ist, sieht zu, dass er sein eigenes Leben rettet, wenn der Jaguar kommt.
Ich bin der gute Kuhhirte. Ich kenne meine Herde, und meine Herde kennt mich. Ich gebe mein Leben für meine Herde. Es gibt auch andere Herden, außerhalb meiner Zäune. Auch für sie bin ich da. Und sie werden hören, wenn ich das Kuhhorn blase, und es wird e i n e Herde sein“. (Joh. 10,11-16)
„Ein Dokument voller Schmerz“
Am Tag der Bischofsweihe wurde der Pastoralbrief verteilt:„Eine Kirche Amazoniens im Konflikt mit dem Großgrundbesitz und der soziale Abstieg“.
Auf 123 Seiten wird in dem Brief die Prälatur skizziert, ihre geografische, ökonomische und soziale Lage. Vor allem aber werden die Ungerechtigkeiten beschrieben, welche die Kleinbauern, Indigene, Landarbeiter und Knechte erleiden vonseiten der großen Konzerne, die sich in der Gegend niederlassen mit reichlich Geldern aus den öffentlichen Kassen wegen der Steuervergünstigungen bei Regierungsprojekten zur „Entwicklung und zur Erschließung der Amazonasgebiete“ (SUDAM)
Alle Vorwürfe des Bischofs waren bewiesen durch eine ganze Serie von Unterlagen und Dokumenten, die bis heute von niemandem bestritten wurden.
Der Brief appelliert an das Gewissen und an die Solidarität der Christen. Es appellierte auch an die Großgrundbesitzer: „Wir bitten, wenn ihr uns hören wollt, um eine einfache Stellungnahme zu eurem Glauben und eurem Egoismus“. Er wendet sich an die Autoritäten: „Wir appellieren an die höchsten Regierungsstellen, dass sie den unterdrückten Schrei des Volkes hören; dass sie die Privatinteressen dem Gemeinwohl unterordnen, die Politik der Rinder(zucht) der des menschlichen Wohlergehens“.
Und im Brief wurden weiterhin ganz klar und unmissverständlich die Verpflichtungen dieser Kirche von Sao Félix dargelegt, einer Kirche, die sich nur vom Evangelium Jesu Christi leiten lässt und sich klar auf die Seite dieses vergessenen Volkes stellt.
Das Mitteilungsblatt „NOTÍCIAS“ der brasilianischen Bischofskonferenz (CNBB) bezeichnete den Hirtenbrief Pedro Casaldáligas als „Ein Dokument voller Schmerz“.
Am 9. November veröffentlichte die CNBB den Pastoralbrief aus Sao Félix in ganz Brasilien. Die Folge war ein enormer Widerhall in allen Medien…
Die Zeitung „O estado de São Paulo“, Verteidigerin und Stimme der Großgrundbesitzer, schrieb am 13.11.71: „Verleumdung und Demagogie dieses Bischofs“.
Und eine andere Zeitung von Sao Paulo, „Jornal da tarde“, titulierte „Die Ungerechtigkeit dieses Dokumentes über Amazonien“. Beide Zeitungen überschlagen sich mit Lobsprüchen und Tugenden der Großgrundbesitzer und stellen diese als die großen Urbarmacher und Wegebereiter der Zukunft dar. Auf ihre Seite schlagen sich die Land- und Viehkonzerne Amazoniens sowie der Inhaber der Fazenda Suiá-Missu, Herminio Ometto.
Internationale Agenturen und auch die Apostolische Nuntiatur Brasiliens erbitten bei der CNBB in Brasilia Kopien des Hirtenbriefes.
Die Reaktionen gehen immer weiter auseinander.
Der Oberst vom SUDAM mit Namen Igrejas selbst sagt (1971= Militärdiktatur): „Unser Land ist demokratisch und stellt allen Land zur Verfügung, den Latifundien wie auch den Kleinbauern. (11.11.71). Die Zeitung „Folha do Norte“ in Belém am gleichen Tag (11.11.71): „Bischof ohne Glaube für die Kirche“, es handele sich um ein „subversives und verleumderisches“ Dokument. Ein Abgeordneter, Correia da Costa, beteuert: „Es gab nie Sklavenarbeit im Mato Grosso… Im Gegenteil: es herrscht sozialer Friede“.
Bischöfe aus verschiedenen Kirchendistrikten Brasiliens senden Solidaritätsschreiben und Telegramme an Pedro Casaldaliga.
Am 12.11.71 - Bischof Ivo Lorscheiter als Generalsekretär der Bischofskonferenz CNBB hält das Dokument für „sauber, präzis und unparteiisch“. „Es ist leicht zu behaupten, was der Oberst Igrejas vom SUDAM so von sich gibt. Ich möchte mal sehen, wenn er das auch beweisen will, was er da sagt. Bischof PEDRO legt klare Beweise auf den Tisch“, so Ivo Lorscheiter.
Heute halten viele diesen Pastoralbrief wegen seines Mutes und Unerschrockenheit, die Dinge bloßzustellen. für einen Markenstein in der nach-konziliaren Geschichte der Kirche Brasiliens.